Geschichte

Die Ursprünge von alternativen Wohnprojekten liegen in den 70er-Jahren, als preisgünstiger Wohnraum in Zürich knapp wurde. Damals bildete sich eine Bewegung gegen das Verschwinden von Wohnräumen, in denen für wenig Geld und in selbstbestimmtem Miteinander gelebt werden konnte. Es begann die Zeit der politischen Aktionen gegen den „Citydruck“ und die Hausbesetzungen nahmen sprunghaft zu.

Als Lektüre zur Geschichte des Widerstandes gegen die Bauspekulation und für neue Wohnmodelle in Zürich empfehlen wir die Lektüre Wo-Wo-Wonige von Thomas Stahel (2006)

1984 wurde ein grösseres Haus am „Tor zu Aussersihl“ besetzt, an dem Ort, der in Zürich kurz „der Stauffacher“ genannt wird. Nach anderthalb Jahren wurde die Liegenschaft polizeilich geräumt, um danach jahrelang leer zu stehen, bis 1990 der Abbruch erfolgte. Während dieser Zeit war der Stauffacher Zankapfel in einem facettenreichen Streit zwischen Behörden und Besitzern auf der einen Seite und den Wohnaktivist*innen auf der anderen. Gleichzeitig wurde er zur Projektionsfläche für Sozialutopien und Wohnträume: Er hätte das Herz von Karthago werden sollen.

Die Idee eines Zürcher Karthagos tauchte 1985 unter den ehemaligen Besetzer*innen des Stauffachers auf. Auf Anregung des Schriftstellers p. m. hin begannen sie sich für die Idee eines Grosshaushaltes zu begeistern. Es war auch p. m., Autor der Stadt- und Sozialutopie „bolo’bolo“, der den Namen Karthago einbrachte. Die Geschichte der legendenumwobenen Stadt, die so lange erfolgreich gegen das römische Imperium gekämpft hatte, die zudem – zumindest der Legende nach – von einer Frau, der phönizischen Prinzessin Elissa gegründet und anfänglich auch geführt wurde, inspirierte die Vordenker*innen des Projekts. Gleichzeitig spiegelte sich auch die nüchterne Einschätzung ihrer Lage im Namen des untergegangenen Karthagos: im Kampf um den Stauffacher musste mit einer Niederlage stets gerechnet werden.

Während viele der ehemaligen Stauffacher*innen neue Objekte besetzten, andere billigen Wohnraum bezogen, der ihnen von der Stadt angeboten wurde, planten andere ein Karthago am Stauffacher. Dieses sollte ein möglichst autarkes „Dorf“ für 100 Bewohner*innen werden. Wohnen und Arbeiten sollten in Karthago nebeneinander Platz finden. Auf einem zugehörigen Landgut würden die Bewohner*innen den grössten Teil der Nahrungsmittel selber produzieren. Die Energie sollte aus ökologischen Quellen fliessen und das Geld schrittweise durch den direkten Tausch von Waren und Dienstleistungen ersetzt werden. Das Projekt wurde im August 1986 der Öffentlichkeit vorgestellt. Es erntete viel Sympathie, was aber nicht verhinderte, dass die Häuser am Stauffacher Anfang 1990 einer grossen Geschäftsüberbauung weichen mussten. Mit einem grossen Trauerzug durch die Stadt wurde das Projekt zu Grabe getragen.

Die wenigen Karthago-Visionär*innen, die den Mut nicht verloren hatten, versuchten sich in einer Werkstatt Karthago neu zu orientieren. Anfänglich verfolgten Sie die Idee eines „Instant-Karthagos“ in Form einer Containersiedlung, die sich rasch aufstellen liesse. Bald aber machten die Stadtbehörden ein solideres Angebot: sie offerierten das Baurecht für ein Grundstück in Zürich Altstetten. Nun kamen neue Leute zu den Planer*innen hinzu, brachten eigene Vorstellungen ein, und im September 1991 wurde die Genossenschaft Karthago gegründet.

Im Frühjahr 1993 vergab die Genossenschaft einen Studienauftrag an drei Teams von Architekt*innen für das Projekt Karthago in Altstetten. Dieses Projekt war bescheidener als das Stauffacherprojekt. Es verzichtete auf jene Ziele, die in Richtung Subsistenz- und Tauschwirtschaft führten, entfernte sich insofern von den Utopien des Schriftstellers p. m.. Im Zentrum standen nun die Solidarität im Alltag und die gemeinsame Organisation des Wohnraums.

Im September 1993 wurde der Baurechtsvertrag mit der Genossenschaft aufgesetzt und beurkundet. Anfang 1994 segnete ihn der Gemeinderat ab. Aufgrund eines Behördenreferendums von bürgerlichen Politiker*innen (vor allem aus den Reihen der SVP) scheiterte im Juni 1994 auch dieses zweite Karthagoprojekt: Die Stimmbevölkerung von Zürich verwarf den Baurechtsvertrag zwischen der Genossenschaft Karthago und der Stadt.

Erneut mit einem Scherbenhaufen konfrontiert, verliessen manche die Gruppe. Die Verbliebenen schlossen sich zusammen und fanden sechs Monate später ein leerstehendes Bürogebäude an der Zentralstrasse und kauften es kurzerhand. In diesem war es fortan mit der Ruhe vorbei: schon während der Planungsphase erklang in den noch leerstehenden Räumlichkeiten Partymusik und das Klatschen von Zuschauer*innen an Kulturanlässen. Die vorübergehende Nutzung lieferte der jungen Genossenschaft dringend benötigtes Kapital

Übrigens: Karthago leitet sich aus dem phönizischen „Kart Hadasht“ ab, was „Neue Stadt“ bedeutet. Die historische Stadt Karthago lag beim heutigen Tunis (Tunesien) an der Meerenge zwischen Afrika und Sizilien. Sie wurde im 9. (evtl. 8.) Jahrhundert v.chr.Z. als Kolonie der phönizischen (im heutigen Libanon gelegenen) Stadt Tyros gegründet, wurde später unabhängig und entwickelte sich zum Zentrum einer blühenden Handels- und Seemacht, die zunehmends mit dem expandierenden römischen Reich in Konflikt geriet.